GEDENKSTÄTTE LÜNEBURG

Wer die Psychiatrie und die Behandlung der geistig und körperlich Kranken im „Dritten Reich” verstehen will, muss das Menschen- und Gesellschaftsbild berücksichtigen, das sich in den 30er-Jahren durchsetzte. Der Mythos der „Volksgemeinschaft” und eine rassistische Idealisierung des Ariertums, das Streben nach einem vermeintlichen „gesunden Volkskörper” ließ sich nur durch Ausschluss und Exklusion realisieren. Dieser ideologischen Programmatik folgend, wurden „Kranke”, sogenannte „Asoziale” und Menschen mit Behinderungen selektiert, menschenverachtend behandelt und schließlich zahlreich ermordet.

Ärzte, Pfleger, Behördenmitarbeiter und zahlreiche Helfer trugen das System der „Tötung unwerten Lebens”.

Aus heutiger Sicht war nicht nur das nihilistische „Neuheidentum” der Nationalsozialisten erschreckend, sondern auch die Tatsache, dass viele Beamte, Staatsmänner, Anstaltsdirektoren und Ärzte an der Errichtung und dem Ausbau einer totalitätern Diktatur beteiligt waren, in der es kein Mitleid, keine Nächstenliebe und keine Fürsorge mehr für die Personen geben sollte, die krank und arbeitsunfähig waren.

Die Lage der psychiatrischen Anstalten ab 1933 war durch unterschiedliche Entwicklungen gekennzeichnet. Auch in Niedersachsen stellte sie sich für die privaten Einrichtungen anders dar als für die Landes Heil- und Pflegeanstalten der Provinzialverwaltung Hannover. Vor allem in den Heil- und Pflegeanstalten und den Einrichtungen der Inneren Mission machte sich ab 1933 eine Überbelegung bemerkbar. Das heißt, dass die Belastungskapazitäten oft überschritten wurden. Diese Überbelegungen verschärften sich durch die Unterbringung bestimmter Krimineller, die nach § 42 des Strafgesetzbuchs verurteilt und in der Psychiatrie untergebracht wurden.

Nach Kriegsbeginn wirkten sich Mittelkürzungen zusätzlich auf die schlechte Versorgung der Patienten aus. Parallel kamen durch die Kriegsereignisse neue Patientengruppen hinzu, z. B. Menschen, die nach Bombenangriffen desorientiert waren. Die Psychiatrie dieser Zeit wehrte sich kaum gegen „rassen”politische Zugriffe und Instrumente einer sich im Lauf der Jahre ständig radikalisierenden Selektion von „arbeitsunfähigen/minderwertigen” und „arbeitsfähigen/lebenswerten” Kranken.

Die Gefahr für Menschen, nicht den nationalsozialistischen Normen und Werten zu entsprechen, wuchs und damit die Gefahr, nicht mehr als nützlich angesehen zu werden. Psychisch Kranke und Anstaltsinsassen wurden immer mehr als sogenannte „Ballastexistenzen” eingestuft. Umso mehr ist die Arbeit desjenigen Personals psychiatrischer Einrichtungen zu würdigen, das den Patienten unter diesen Bedingungen Fürsorge entgegenbrachte und sich um ihre Heilung bemühte.

Typisch für die nationalsozialistische Überformung der Psychiatrie nach 1933 ist die gesellschaftlich umfassende und gewaltsame Anwendung der Zwangssterilisation mit der dazugehörigen bürokratischen Erfassung möglichst vieler Angehöriger der Patienten (mit dem entsprechenden Ausbau des Gesundheitswesens). Kennzeichnend ist außerdem die aktive praktische Umsetzung der „Euthanasie”-Morde als (halb)staatlich organisiertes Verbrechen, zunächst zentral organisert in der „Aktion T4“, später dezentral durchgeführt in Formen der „wilden Euthanasie” sowie in Fachabteilungen („Kinderfachabteilungen”). Weiterhin ist der Missbrauch der Arbeitstherapie zur möglichst weitgehenden Ausbeutung von Patienten für kriegswirtschaftliche Planungen insbesondere ab 1939 charakteristisch.

Schließlich gehört zur nationalsozialistischen Psychiatrie eine medizinisch-psychiatrische Betrachtung der Geisteskranken unter den Gesichtspunkten ihres angeblich feststellbaren „Wertes” und der Rassenhygiene (auch wenn die nationalsozialistische Rassenhygiene keine vorherrschende Lehrmeinung in der gesamten psychiatrischen Forschung 1933 bis 1945 wurde).

Forschungen gehen von über 70.000 Toten der „Aktion T4” (zentrale Euthanasie, 1940/41), über 200.000 bis 300.000 Toten der dezentralen Euthanasie (1941-1945) und über 5.000 getöteten Kindern (1941-1945) aus, die der NS-Psychiatrie zum Opfer fielen.

25-08-2019

„EUTHANASIE“-GEDENKSTÄTTE LÜNEBURG

Willkommen auf den Seiten der „Euthanasie“-Gedenkstätte Lüneburg.

https://www.pk.lueneburg.de/gedenkstaette/

Die Gedenkstätte befindet sich auf dem Gelände der heutigen Psychiatrischen Klinik Lüneburg im ehemaligen Badehaus am Wasserturm, dem weithin sichtbaren Wahrzeichen der Klinik.

Die „Euthanasie“-Gedenkstätte wurde am 25. November 2004 als „Bildungs- und Gedenkstätte ‚Opfer der NS-Psychiatrie‘ Lüneburg“ eröffnet. Seit 1. September 2015 trägt sie den neuen Namen „Euthanasie“-Gedenkstätte Lüneburg.

Auf den folgenden Seiten bieten wir Ihnen Informationen zum Anliegen, den Aufgaben, Angeboten und Nutzungsmöglichkeiten der Gedenkstätte. Wir verstehen unsere Arbeit als Beitrag zur politisch-historischen Bildung, die sich auf die Opfer der Psychiatrie im Nationalsozialismus bezieht und gleichzeitig auch aktuelle Fragen berücksichtigt.

Ein zentraler inhaltlicher Schwerpunkt ist die „Kinderfachabteilung” Lüneburg, in der 1941 bis Kriegsende 300 bis 350 Kinder aus ganz Norddeutschland getötet wurden. Daraus ergibt sich die überregionale Bedeutung der Gedenkstätte.

Trägerverein der Gedenkstätte ist seit 1. September 2015 der „Euthanasie“-Gedenkstätte Lüneburg e. V.

Autor: BSS1679

EX-IN (Genesungsbeleiter)

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